11. Juli 2017
Wer seine Zielgruppen über das Internet erreichen will, muss sich konsequent an deren Bedürfnissen ausrichten. Das zeigt der „E-Commerce-Report 2017“ am Beispiel des Übernachtungsgewerbes.
Unter dem Titel „E-Commerce-Report“ veröffentlicht die Fachhochschule Nordwestschweiz im Auftrag der Datatrans AG jährlich einen E-Commerce-Report Schweiz, der auf Interviews mit E-Commerce-Anbietern basiert. Vor Kurzem ist die neunte Ausgabe dieses Berichts erschienen:

Breites Begriffsverständnis


Der Untertitel „Digitalisierung im Vertrieb an Konsumenten“ verdeutlicht, dass dem Bericht ein breites Verständnis von E-Commerce zugrunde liegt. „E-Commerce ist die Unterstützung der Beziehungen und Prozesse eines Unternehmens zu seinen Kunden durch vernetzte Informationstechnologie. E-Commerce kann eine oder mehrere Transaktionsphasen umfassen“, definieren die Autoren. E-Commerce bedeutet also nicht zwingend, dass die Kauftransaktion als solche online erfolgt. Es genügt, wenn das Internet wesentlich zur Gewinnung des Kunden beiträgt.

Online-Ökosystem


Der Prozess der Online-Kundengewinnung ist, das zeigt die Studie deutlich, ein heiss umstrittenes Feld. Viele verschiedene Akteure versuchen, hier eine Rolle zu spielen. Doch nur wenigen gelingt es, die Aufmerksamkeit der Webbesucher/-innen zu gewinnen. Jede Schwäche eines Beteiligten erlaubt es neuen Playern, in die Lücke zu springen. Die Autoren zeigen das am Beispiel des Übernachtungsgewerbes. Hier ergibt sich ein enges Geflecht von Vermittlern. Die Autoren sprechen von einem Ökosystem. Erst im Zusammenspiel führen die Player dieses Ökosystem die Reisenden zur Buchung. Auf verschiedensten Wegen verdienen sie an den Buchungen mit.

Insbesondere die folgenden Typen von Vermittlern werden unterschieden:

Online-Reiseagenturen


Die ältesten Internet-Player im Übernachtungsgewerbe sind Plattformen wie Booking.com, Expedia und HRS, die seit 1996 online sind. Diese so genannten OTAs (Online Travel Agencies) vermitteln Reisebuchungen gegen eine Provision. Dabei sind verschiedene Vertriebsmodelle möglich. So wird der Buchungspreis bei booking.com vom Übernachtungsanbieter bestimmt. Booking.com erhält eine vereinbarte prozentuale Kommission. Mit Expedia vereinbart der Übernachtungsanbieter dagegen den Nettopreis. Den Kundenpreis bestimmt die OTA. Zu den Erfolgsstrategien der OTAs gehören eine hohe Benutzerfreundlichkeit und detaillierte Kenntnisse der Kundenpräferenzen. Die Letzteren erwerbe sich etwa Booking.com durch eine grosse Zahl von kleineren Tests im Alltagsbetrieb, die als Grundlage für eine laufende evolutionäre Verbesserung dienten.

Metasuchmaschinen


Unter anderem aufgrund der unterschiedlichen Vertriebsmodelle haben die OTAs im Internet aus Kundensicht nicht unbedingt Transparenz, sondern eher ein grosses „Durcheinander“ geschaffen. Für das gleiche Hotel werden je nach Plattform unterschiedliche Zahlen zu noch verfügbaren Betten und höchst unterschiedliche Preise ausgewiesen. Vor diesem Hintergrund sind die zweiten Typen von Vermittlern im Übernachtungsgewerbe entstanden, die Metasuchmaschinen. Kostenbewusst handelnde Kunden sähen sich durch die Preisdifferenzen dazu genötigt, verschiedene Informationskanäle zu nutzen, um das für sie beste Angebot zu finden, erläutern die Autoren.

Die Metasuchmaschinen wie Trivago, Kayak und Tripadvisor zeigen für das gleiche Objekt verschiedene Buchungsmöglichkeiten mit oft mehreren Preisen. Im Unterschied zu OTAs kann man zudem bei Metasuchmaschinen nicht direkt buchen. Ursprünglich legten einige Suchmaschinen den Fokus auf Preis und Verfügbarkeit, andere auf Kundenbewertungen.

Die Daten beziehen Metasuchmaschinen bei OTAs, die am Traffic der Metasuchmaschinen interessiert sind. Weitere Datenlieferanten sind die grossen Übernachtungsanbieter selber. Die Bezahlung der Metasuchmaschinen kann durch „Cost per Click“ oder durch „Cost per Action“ (Action = tatsächliche Buchungen) erfolgen. Die Darstellung und Platzierung der Angebote bei Metasuchmaschinen variiert nach der Höhe der vereinbarten Kommission.

Google


Neben den Metasuchmaschinen spielen auch die klassischen Suchmaschinen wie Google in der Übernachtungsbranche eine wichtige Rolle. Google unterscheidet sich grundsätzlich von Metasuchmaschinen dadurch, dass weder die Eingabe von Suchaspekten noch die Ergebnisdarstellung strukturiert erfolgt. Die Autoren der Studie bezeichnen Google deshalb als „horizontale Suchmaschine“. Horizontale Suchmaschinen sind branchenübergreifend immer gleich aufgebaut. Sie verfügen zwar über eine grosse Reichweite. Für gewisse Bereiche sind sie jedoch nicht optimal geeignet.

Allerdings wollte Google nicht tatenlos zusehen, wie in diversen Bereichen vertikale Suchmaschinen ganze Marktsegmente für sich eroberten. In einigen dieser Bereiche bietet Google deshalb selber eine vertikale Suche an. Die Hotelbranche ist eines dieser Segmente. Ein anderes ist der Vertrieb von Flügen. Dabei habe Google die vertikale Suche geschickt in die horizontale Suchmaschine eingebettet, so die Autoren. Die Platzierung im vertikalen Suchbereich wird durch Google Hotel Ads (bezahlte Listings) bestimmt. „So etwas wie organische Listings gibt es in diesem Bereich nicht“, schreiben die Autoren. Vielmehr habe Google mit diesen Hotels direkt oder indirekt einen Vertrag. Eine Zahlung wird jedoch erst fällig, „wenn der Interessent über den Link auf Google auf die Website" des Anbieters (Hotel oder OTA) weitergeleitet wird. Abgerechnet wird nach Cost per Click.

Bedfinder


In einigen Ländern bietet Google in Form von „Book on Google“ scheinbar die Möglichkeit, Buchungen direkt auszuführen. Auch wenn die Benutzenden die Google-Website beim Buchen tatsächlich nicht verlassen, werde die Buchung jedoch technisch und rechtlich bei der Buchungsplattform ausgeführt, so die Autoren.

Während Google bisher also nicht wirklich in das Gebiet der operativen Ausführung vorrückt, hat sich in diesem Gebiet mit Bedfinder 2016 ein neuer Akteur gebildet. Bedfinder ist ein neuer Branchenzweig der Hotelplan-Gruppe. Er ermöglicht die Buchungen und Zahlungen und übernimmt den Kundensupport bei der Übernachtung in Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern. Im Unterschied zu klassischen OTAs betreibt er aber kein Endkunden-Marketing, sondern überlässt dieses kostspielige Tätigkeitsfeld Google. Bedfinder konzentriert sich hiermit konsequent auf die Kernkompetenzen von Hotelplan.

Airbnb


Als weiteren, neuen Player im Online-Übernachtungsmarketing nennt die Studie schliesslich auch noch Airbnb. Zwar ist Airbnb auf die Sharing-Ökonomie fokussiert. Trotzdem werde die Plattform als Branchenplayer wahrgenommen. Auf Seiten der Anbieter finde eine Professionalisierung statt. Zudem kann eine Zusammenarbeit mit Airbnb auch für professionelle Anbieter sinnvoll erscheinen, wenn ihre Angebote persönlich und wenig industrialisiert sind.

Kunden gewinnen


Die Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz schildert am Beispiel der Übernachtungsbranche eindrücklich, wie es nur durch das Zusammenspiel von Unternehmen mit unterschiedlichen Kernkompetenzen gelingt, die Kunden immer wieder neu für sich zu gewinnen. All die beteiligten Akteure verursachen Kosten und erheben Kommissionen. Das kann bei Übernachtungsanbietern den Eindruck erwecken, „die Online‐Buchungsplattformen nähmen den Beherbergungsanbietern die Kunden weg, um sie ihnen hinterher wieder zu verkaufen“. Was als Leerlauf erscheinen mag, ist jedoch nicht zu umgehen, denn den Hotels selber gelingt es ja offensichtlich nicht, die Aufmerksamkeit der Reisenden direkt zu wecken und sie zu mehr Direktbuchungen zu bewegen.

Wenn ein Branchenvertreter in der Studie die Online-Buchungsplattformen als „Marktschmarotzer“ bezeichnet, blendet er aus, dass er den „Schmarotzern“ zusätzliche Kunden verdankt. Er hat vielleicht noch nicht verstanden, was gemäss den Autoren zum „Paradigmenwechsel der Digitalen Transformation“ gehört: Anbieter hätten den „Anspruch auf ihre Kunden verloren“. Kunden müssten immer wieder neu gewonnen werden.

Das können immer weniger einzelne Anbieter alleine schaffen. Es braucht hier „ganze Ökosysteme“ von Online-Plattformen. Eine wichtige Rolle spielt dabei Google. Die Autoren bezeichnen Google als „Nadelöhr zum Kunden“. Für die einen sei Google „ein Tor zum Erfolg“, für andere die „Barriere, durch die sie gar nicht erst richtig ins Spiel kommen“. Auch die OTAs selber sind auf die anderen Vermittler im Übernachtungsgewerbe angewiesen und suchen die Kooperation. Nur durch das Zusammenspiel mit den Metasuchmaschinen ist es ihnen gelungen, einen Anteil von inzwischen rund 30 Prozent der Hotelbuchungen zu erobern.

Weitere Informationen:
Ralf Wölfle, Uwe Leimstoll: E-Commerce-Report Schweiz 2017, 9. Ausgabe, Hrsg.: Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Wirtschaft, Institut für Wirtschaftsinformatik, Auftraggeber: datatrans
Datatrans: E-Commerce Report Schweiz 2017, Management Summary zum E-Commerce Report Schweiz 2017
Datatrans: Digitale Transformation auch im E-Commerce erst ganz am Anfang. Haltungen und Arbeitsweise im Vertrieb an Endkunden im Umbruch, Medienmitteilung zum E-Commerce Report Schweiz 2017, Zürich, 13. Juni 2017
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